Von Offshoring bis Insourcing
Komplexität managen,
Effizienz steigern und
geopolitische Risiken mitigieren
Krieg in der Ukraine, Krisenherde in Nahost, Spannungen in Asien. Zugleich schwelt der grundsätzliche Konflikt zwischen Demokratien und Autokratien. All diese Entwicklungen zusammen mit dem ohnehin bestehenden Effizienzdruck lassen immer mehr Unternehmer und Manager über Offshoring, Nearshoring, Friendshoring und Insourcing nachdenken. Was davon passend ist und umgesetzt werden soll, will gut überlegt und geplant sein.
Jeremy Board ist seit mehr als 30 Jahren international als selbstständiger Projektmanager für Unternehmen aus verschiedenen Branchen tätig, angefangen von Bauprojekten in Südafrika über Telekommunikation in Saudi-Arabien und Verlagerung industrieller Produktion von Ungarn nach Rumänien bis hin zur Verschmelzung von fünf Unternehmen in UK. Was er aktuell vielerorts erlebt, ist ein beispielloses Zögern. „Seit der Corona-Pandemie und jetzt verstärkt durch die aktuelle geopolitische Lage mangelt es an starker Führung und Entscheidungsfindung“, beschreibt Board. „Die meisten Unternehmen spielen dieses Problem herunter, weil sie nicht wissen, wie sie es lösen können. Oft wird überhaupt keine Entscheidung getroffen aus Angst, dass es die falsche ist. Der Status quo ist für das Management am einfachsten – für die Wirtschaft aber ist das ein Problem“.
Unklarheit bremst Entscheidungen
Nach Wahrnehmung von Jeremy Board hängt die zögerliche Haltung damit zusammen, dass in der aktuellen, sich ständig verändernden geopolitischen Lage große Unklarheit besteht. „Den Entscheidern ist bewusst, dass sich das Umfeld verändert. Aber weil sie mit manchen Entscheidungen von der Norm abweichen müssten, warten sie ab – bis es zu spät ist, was dann das Problem nur vertieft.“ Deshalb sei im Vorteil, wer sich proaktiv mit Standortverlagerungen befasst.
Offshoring
Wenn ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeiten, vor allem Produktions- oder Dienstleistungsfunktionen, in ein anderes Land verlagert, handelt es sich um Offshoring. Dieser Ansatz wird typischerweise gewählt, um Kosten zu senken. Durch die Verlagerung in Länder mit niedrigeren Löhnen und Betriebskosten lassen sich erhebliche Einsparungen erzielen. Zudem bieten einige Offshoring-Destinationen spezielle steuerliche Anreize und Zugang zu neuen Märkten. Länder wie Indien, China und die Philippinen sind beliebte Ziele dank ihrer relativ niedrigen Lohnkosten und zugleich qualifizierter Arbeitskräfte.
Nearshoring
Verlagert ein Unternehmen bestimmte Geschäftsprozesse in ein benachbartes Land, das geografisch und kulturell näher an der Heimat des Unternehmens liegt, handelt es sich um Nearshoring. Dies kann eine attraktive Option für Unternehmen sein, die die Vorteile von Offshoring nutzen möchten, ohne die Herausforderungen großer Distanz und Zeitverschiebung zu bewältigen. Nearshoring bietet auch kulturelle Vorteile und erleichtert die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Teams. Innerhalb Europas beispielsweise werden Aktivitäten oftmals in Länder wie Polen oder Tschechien verlagert, um in derselben Zeitzone von vergleichsweise geringen Energie- und Lohnkosten sowie kulturellen Gemeinsamkeiten zu profitieren.
Friendshoring
Angesichts geopolitischer Spannungen gewinnt Friendshoring an Bedeutung. Dabei wird der Fokus darauf gelegt, Geschäftsprozesse in befreundete oder politisch stabile Länder zu verlagern. Auf diese Weise wird das Risiko politischer und wirtschaftlicher Instabilität reduziert, das bei Offshoring in weniger stabile Länder entstehen kann. Zudem wird das Risiko von Unterbrechungen in der Lieferkette reduziert. Den geringeren Risiken und der höheren Stabilität stehen indes meist höhere Produktionskosten und eine limitierte Auswahl an günstigen Produktionsstandorten gegenüber.
Insourcing
In der jüngeren Vergangenheit ist angesichts der Erfahrungen während der Corona-Pandemie und auch des Kriegs in der Ukraine zu erkennen, dass Unternehmen vermehrt ausgelagerte Geschäftsprozesse wieder ins eigene Haus holen. Dies hat meist den Zweck, mehr Kontrolle über Qualitätsstandards zu bekommen oder schneller auf Marktveränderungen zu reagieren. Vor allem in Zeiten technologischer Innovationen kann Insourcing dazu beitragen, Know-how und Wettbewerbsvorteile zu sichern. Damit verbunden sind in der Regel höhere Produktions- und Personalkosten sowie die Notwendigkeit, in eigene Infrastruktur zu investieren und somit eine höhere Kapitalbindung einzugehen.
Erfahrungen mit Standortverlagerungen
Ob Offshoring, Nearshoring, Friendshoring oder Insourcing – immer dann, wenn Standorte verlagert werden, sind einige grundlegende Aspekte zu beachten. Dazu gehören Faktoren wie die Kosten der Verlagerung, Auswirkungen auf die Mitarbeiter, mögliche Betriebsstörungen, gesetzliche Verpflichtungen und die Vorteile des neuen Standorts. Bei länderübergreifenden Verlagerungen spielen kulturelle Unterschiede, regulatorische Hürden, Mangel an Fachkräften, Probleme mit der Infrastruktur oder der Lieferkette eine Rolle. „Meiner Erfahrung nach neigen Entscheider dazu, sich auf die finanziellen Vorteile einer Standortverlagerung zu konzentrieren. Die sozialen und politischen Aspekte werden oft zweitrangig behandelt“, sagt Board. Um den Erfolg der Standortverlagerung sicherzustellen, sollten Aspekte wie Marktzugang, politische Beziehungen, Verfügbarkeit von Ressourcen und Fähigkeiten sowie der Verlust von internem Wissen gleichermaßen berücksichtigt werden.
Fokus auf finanzielle Aspekte verengt den Blick
Wegen der Fokussierung auf finanzielle Aspekte geraten nach Beobachtung von Board die Nachteile der Standortverlagerung oftmals in den Hintergrund. „Dazu gehören u.a. Arbeitsplatzabbau im Heimatland, Verlust von internem Wissen oder Unruhe in der Belegschaft“, erläutert Board. Zudem komme es oft zu Problemen bei der Qualitätskontrolle während und nach der Standortverlagerung aufgrund unterschiedlicher Fähigkeiten, Standards und Vorschriften. Auch kulturelle Unterschiede, Währungsschwankungen und veränderte Zölle sowie politische Instabilität könnten zu einer Herausforderung werden. Um diese Aspekte zu handhaben, brauche es im Management eine proaktive Herangehensweise – und den Mut, Entscheidungen zu treffen.
Board Journal – 27. Februar 2025
