Das
Lateinamerika Hub

Warum Brasilien für internationale Unternehmen interessant wird

Angesichts der geopolitischen Entwicklungen und zunehmenden Abschottung von Märkten suchen Unternehmer und Manager nach neuen Wachstumsregionen. Dabei rückt Lateinamerika in den Blickpunkt – insbesondere Brasilien. Mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 3,8% im Jahr 2024 hat sich die dortige Wirtschaft dynamisch entwickelt. Ein gigantisches Infrastrukturprogramm und Anreize für Unternehmen soll die Wirtschaft weiter ankurbeln. Daraus ergeben sich spannende Gelegenheiten für internationale Unternehmen.

320.000.000.000 € – dreihundertzwanzig Milliarden Euro (1,7 Billionen Reais). So viel Geld will Brasilien umgerechnet investieren, um seine Infrastruktur zu modernisieren. Das Programm zur Beschleunigung des Wachstums („Programa de Aceleração do Crescimento“ – kurz: PAC) umfasst insgesamt neun Gebiete:

Verkehr und Transport: Ein Fünftel des Investitionsvolumens entfällt auf Flughäfen, Bahn, Wasserstraßen, Häfen und Autobahnen. Brasilien möchte das Verkehrsnetz effizienter und nachhaltiger machen.

Energie: Darüber hinaus soll ein Drittel des Investitionsvolumens in nachhaltige Energieerzeugung, Stromübertragung, Energieeffizienz, Stromversorgung für alle, aber auch Mineralienforschung sowie Öl- und Gasförderung investiert werden.

Städteentwicklung: Den größten Teil des Fördertopfes mit etwa 35% (609,7 Milliarden Reais) möchte die Regierung in urbane Projekte investieren. Dazu zählen u.a. nachhaltige Mobilität in der Stadt, Abwasser, Abfallwirtschaft, Katastrophenschutz einschließlich Hangsicherung und Entwässerung sowie die Urbanisierung von Favelas.

Wasserversorgung: weitere 30,5 Milliarden Reais sollen in Wasserversorgung und Wasseraufbereitung investiert werden, um möglichst alle Einwohner mit Frischwasser zu versorgen.

Digitalisierung: mit 27,9 Milliarden Reais sollen u.a. der Ausbau des 4G-Netzes und die Einführung von 5G, die Internet-Versorgung in Schulen und Gesundheitseinrichtungen und digitales Fernsehen gefördert werden.

Bildung und Wissenschaft: für das Bildungswesen, Forschung und Innovation will die Regierung 45 Milliarden Reais ausgeben.

Soziale Infrastruktur: mit 2,6 Milliarden Reais sollen Kultur, öffentliche Sicherheit und Sport gefördert werden.

Gesundheitswesen: für u.a. den Ausbau der Grundversorgung und Telemedizin werden 30,5 Milliarden Reais bereitgestellt.

Rüstung: für die Landesverteidung sind 52,8 Milliarden Reais vorgesehen.

In allen neun Gebieten sind internationale Unternehmen ausdrücklich erwünscht. „Nach meinen Erfahrungen ist ausländisches Know-how sehr begehrt. Die Infrastruktur soll mit den neuesten Technologien modernisiert werden. Jedes Unternehmen kann sich an den öffentlichen Ausschreibungen beteiligen“, sagt Parvis Papoli-Barawati. Der in Deutschland und Brasilien ansässige Anwalt und Unternehmensberater unterstützt Unternehmen seit Jahrzehnten dabei, in den brasilianischen Markt einzutreten. Aktuell verzeichnet er zunehmendes Interesse.

Null Einfuhrzoll auf bestimmte Güter

„Dies liegt zum einen an dem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum und der Rolle von Brasilien als Hub für Lateinamerika. Zum anderen haben die letzten Jahre gezeigt, dass das Land trotz Regierungswechseln politisch stabil ist“, hebt Papoli-Barawati hervor. Zudem gebe es große Anreize für ausländische Unternehmen, einen Standort in Brasilien aufzubauen. Die brasilianische Außenhandelskammer CAMEX gewähre Zollerleichterungen für die Einfuhr bestimmter Güter: es fällt kein Einfuhrzoll beim Import neuer Maschinen und Ausrüstungen an, die in Brasilien nicht hergestellt werden. Dieser so genannte „ex-tarifário“ wurde kürzlich bis zum 31. Dezember 2025 verlängert und erfordert ein Antragsverfahren, in dem der brasilianische Maschinen- und Anlagenverband angehört wird.

Kürzere Abschreibungsperiode steigert Nachfrage

Darüber hinaus ergeben sich aus einer neuen Abschreibungsregelung interessante Absatzpotenziale für ausländische Hersteller von Maschinen und Anlagen: bis Ende 2025 läuft das Investitionsprogramm „Beschleunigte Abschreibung“ (Depreciação Acelerada). „Wenn ein brasilianisches Unternehmen neue Maschinen, Anlagen, Ausrüstungen, Geräte und Instrumente kauft, kann es den Investitionsbetrag innerhalb von zwei Jahren anstatt 25 Jahren vollständig abschreiben“, betont Papoli-Barawati. Auf diese Weise wolle die Regierung brasilianische Industrieunternehmen incentivieren, ihre Anlagen zu modernisieren.

Zukunftspotenzial durch MERCOSUR-Abkommen

Einen zusätzlichen Wachstumsschub könnte eine neue Partnerschaft verleihen. Erst vor wenigen Wochen einigten sich die Europäische Union und die MERCOSUR-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay im Dezember 2024 über das MERCOSUR-Freihandelsabkommen. Nach 25-jähriger Verhandlungsdauer hatte man sich darauf verständigt, insbesondere die Zölle zwischen beiden Handelsregionen weitgehend abzubauen. Es entstünde ein freier Markt mit mehr als 700 Millionen Einwohnern. Durch den Zollabbau könnten sich für europäische Exporteure Einsparungen von etwa vier Milliarden Euro pro Jahr ergeben. Nun muss das Abkommen von den Parlamenten der beteiligten Länder noch ratifiziert werden. „Die EU sollte dies unter Dach und Fach bringen. Das wäre für beide Seiten ein Gewinn und würde der EU einen Wettbewerbsvorteil z.B. gegenüber China bringen, das sich ebenfalls um ein vergleichbares Abkommen bemüht, aber eine Absage erhalten hat“, meint Papoli-Barawati.

Markteintritt meist über Handelsvertreter und Partner

Unternehmer und Manager, die einen Standort in Brasilien aufbauen wollen, können sich über Handelskammern vor Ort einen ersten Überblick verschaffen. Oftmals erfolgt der Markteintritt über Handelsvertreter oder Vertriebshändler. „Wenn auf Basis der ersten Erfahrungen eine eigene Tochtergesellschaft gegründet werden soll, ist neben der eingehenden Marktanalyse und ggf. Anpassung des Produkts an den brasilianischen Markt die Wahl des passenden Standortes bedeutsam“, so Papoli-Barawati. Denn aufgrund der Größe des Landes und der erheblichen regionalen Unterschiede in punkto Infrastruktur, Mentalität, Klima, Steueranreize, Verfügbarkeit von Fachkräften und Kundennähe müsse man genau hinschauen, welcher Standort passt. Daneben komme es auf die Auswahl geeigneter Führungskräfte an. „Wenn sie nicht Brasilianer sind, sollten sie neben internationaler, am besten in Brasilien gesammelter Erfahrung auch Flexibilität und Empathie mitbringen, ohne die es auf Dauer in Brasilien nicht funktionieren kann.“ Schließlich solle das finanzielle Budget nicht zu knapp bemessen sein, weil die Anfangsphase häufig zeit- und kostenintensiver ist, als angenommen.

Kulturelle Besonderheiten

Neben den organisatorischen Aspekten seien vor allem auch kulturelle Besonderheiten zu beachten. „Brasilianer legen sehr viel Wert auf den persönlichen Kontakt. Auch im Geschäftsleben bedeutet es einem Brasilianer sehr viel, sich gut mit dem Geschäftspartner, dem Kunden, dem Lieferanten etc. zu verstehen. Persönliche Gespräche und Smalltalk sind daher speziell in der Kennenlernphase essentieller Bestandteil des Beziehungsaufbaus“, sagt Papoli-Barawati aus Erfahrung. Brasilianer seien emotional und leicht verletzlich. Offene Kritik sei zumeist nicht angebracht, schon gar nicht in Gegenwart von Dritten, da ein Brasilianer dann schnell sein Gesicht verliere. „Brasilianer wollen sich wohl fühlen, was gleichermaßen für das private wie das geschäftliche Zusammenleben gilt. Meine Empfehlung ist: korrekt und freundlich auftreten, persönliche Einladungen in der Regel annehmen, Interesse an der Person des Gegenübers zeigen, nicht nur an seinem Geschäft. Freundlichkeit öffnet fast jede Tür in Brasilien.“

Board Journal – February 20th, 2025

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