Auf dem Sprung
nach Europa

Warum chinesische Firmen gerade jetzt nach Europa streben

Angesichts geopolitischer Spannungen und drastisch gestiegener Transportkosten orientieren sich immer mehr chinesische Unternehmen nach Kontinentaleuropa. Dort neue Produktions- und Logistikstandorte anzusiedeln, näher an den europäischen Kunden zu sein, inmitten scharfen Wettbewerbs und Preisverfalls auf dem Heimatmarkt neue Chancen im Ausland zu nutzen und zugleich Strafzölle zu umgehen – darum geht es. Daraus ergeben sich interessante Ansatzpunkte auch für europäische Kooperationspartner.

„Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2025 etwa 10 bis 15 Prozent mehr chinesische Unternehmen als im Vorjahr nach Zentral- und Osteuropa kommen und dort Standorte eröffnen werden“, sagt Jaromír Černík, der Director Asia bei CTP in Hong Kong tätig ist. Europas größter börsennotierter Entwickler von Gewerbeparks mit insgesamt 12,5 Millionen Quadratmetern Bestandsimmobilien verzeichnet steigendes Interesse aus China vor allem an Standorten in Zentral- und Osteuropa. „An erster Stelle steht Ungarn, wo schon jetzt hunderte chinesische Unternehmen ansässig sind. Danach folgen die Slowakei und Serbien“, so Černík. In Kürze werde CTP eine größere Ansiedelung aus China in Ungarn bekanntgeben. Auch Polen sei als großer Markt sehr interessant und schnell wachsend, verzeichne aber noch wenige Unternehmen aus China. Gleiches gelte für Rumänien.

Gestiegene Transportkosten als Treiber

Konkret zielt das Interesse auf den Aufbau von europäischen Standorten, an denen die Endfertigung auf Basis von Komponenten aus China erfolgt. Vor allem chinesische Automobilzulieferer wollten näher an den Herstellern (OEM) wie z.B. Audi oder Volvo sein und siedeln sich der Reihe nach mit Fabriken an. „Haupttreiber dieser Near-Shoring-Entwicklung sind die deutlich gestiegenen und schwankenden Kosten für Seecontainer“, hebt Černík hervor. In der Tat hat sich laut Statista der Preis für weltweite Transporte eines 40-Fuß-Containers bis Januar 2025 dynamisch entwickelt. Zwar lag der Wert am 16. Januar 2025 mit durchschnittlich rund 3.860 US-Dollar noch deutlich unter dem Rekordhoch vom 18. Juli 2024 mit rund 5.937 US-Dollar. Aber die Frachtraten steigen seit dem 24. Oktober 2024 wieder. „Die Disruption von Logistik-Routen und die Preisvolatilität hat chinesische Unternehmen vorsichtiger werden lassen und motiviert, in Europa einen Standort zu eröffnen“, so Černík.

Automation und Technologie statt Mitarbeiter

Um Lohnkosten im Griff zu behalten, setzen chinesische Unternehmen nach Beobachtung von Černík vermehrt auf Automation. „Meist werden mit großen Maschinen und modernster Technologie die aus Asien importierten Rohstoffe und Komponenten verarbeitet. Im Vergleich mit Abläufen, die wir vor einem Jahrzehnt gesehen haben, verringert dies den Bedarf an Arbeitskräften deutlich“, erklärt Černík. Erster Schritt sei meist die Anmietung eines Standorts für fünf Jahre, wobei CTP die erforderliche Infrastruktur und Flächen bereitstellt und das gewünschte Konzept für den Kunden in identischer Form in zehn Ländern realisieren kann. Wenn der erste Schritt erfolgreich ist, komme es danach entweder zum Kauf einer Immobilie oder zu einer Expansion in andere Länder.

Neben Automotive spielt Logistik eine Rolle

Mit Blick auf Branchen liege der Schwerpunkt auf Automotive, u.a. jüngst Kunststoffspritzguss in der Slowakei oder Battery Pack Assembling in Ungarn. Aber auch E-Commerce-Anbieter aus China siedeln sich vermehrt in Osteuropa und auch Deutschland an. „Solche Unternehmen haben Bedarf an Warehouses, um Produkte zu lagern und auch Logistiksysteme, um die letzte Meile zu bedienen“, sagt Černík. Daneben habe CTP auch in Brownfield-Objekte, also sanierungsbedürftige Flächen, investiert. An Standorten mit ausreichender Energieversorgung könnten Rechenzentren gebaut werden.

Vermeidung von Strafzöllen

Neben dem Near-Shoring spielten für chinesische Unternehmen auch geopolitische Entwicklungen und die Einführung von Strafzöllen eine Rolle. Durch den Aufbau europäischer Standorte solle das Risiko reduziert werden. Dieser Ansatz ist bereits aus der ersten Amtszeit von Donald Trump bekannt, als manche chinesische Hersteller einen Teil ihrer Aktivitäten in ein Drittland verlegten, von dem aus keine oder geringere Zölle bei der Ausfuhr in die USA fällig wurden. Auch die Veränderung von Produkten oder Zwischenläger in Staaten mit geringeren Zöllen waren damals ein praktizierter Ansatz. Ob sich dies in den nächsten Jahren wiederholt, ist momentan schwer einzuschätzen. Eindeutig zu erkennen ist aber jetzt die Ansiedelung chinesischer Unternehmen vor allem in Osteuropa. „Wir sehen, dass chinesische Unternehmen einander folgen. In Ungarn zum Beispiel hat sich das wie mit einem Schneeball entwickelt: wenn die ersten Unternehmen gute Erfahrungen gemacht haben, folgen bald weitere“, so Černík. Von dieser Entwicklung profitieren können auch lokale Kooperationspartner und Dienstleister, die beim Aufbau des Standorts unterstützen.

Board Journal – 15. Februar 2025

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