Runterfahren oder abwickeln
Wie Unternehmen ihre Größe
und Strukturen anpassen
Verschiedene Branchen wie der Automobilsektor oder die Stahlindustrie befinden sich international im Umbruch. Wenn die Auslastung drastisch sinkt und Verluste zunehmen, stellt sich für Eigentümer und Manager die Frage nach den Handlungsoptionen: verkleinern, geordnet abwickeln, in die Insolvenz schicken oder in den Schlafmodus versetzen. Welche Option vorteilhaft ist oder von vornherein ausscheidet, hängt von Land und Situation ab.
Eine überteuerte Akquisition hat zu hohen Schulden geführt, ein Großprojekt ist fehlgeschlagen oder die Nachfrage stark eingebrochen – die Gründe für eine Unternehmenskrise können sehr unterschiedlich sein. Was alle Schieflagen gemeinsam haben, sind die finanziellen Auswirkungen. Verluste lassen das Eigenkapital dahinschmelzen, Eigentümer müssen über Gesellschafterdarlehen oder Finanzspritzen ins Eigenkapital aushelfen. Hat sich das Unternehmen über großvolumige Bankdarlehen finanziert und reißt es vertraglich vereinbarte Finanzkennzahlen (Covenant Breach), dürfen die Kreditgeber kündigen. Oft schnurrt parallel die Liquidität zusammen, so dass fällige Rechnungen nicht mehr bezahlt werden können; die Zahlungsunfähigkeit droht oder ist schon eingetreten.
Eigenverwaltung als Sanierungslösung
Welches Schicksal das kriselnde Unternehmen nimmt, hängt davon ab, was Sache und machbar ist: worin liegen die Krisenursachen, taugt das Geschäftsmodell noch, wird das Unternehmen in kleinerem Format profitabel sein. Hilft es dauerhaft über die Krise hinweg, wenn Altlasten abgeschnitten werden. Welche Ziele haben die Eigentümer, was können und wollen sie finanziell beitragen. Welche Sanierungslösungen sieht das Gesetz in dem jeweiligen Land vor und gibt es staatliche Hilfe. Bei letzterem hat Deutschland für die Sanierung einen Standortvorteil. „Wird ein Unternehmen in Eigenverwaltung saniert, zahlt die Bundesagentur für Arbeit aus einem von allen Unternehmen finanzierten Fonds drei Monate den Großteil der Gehälter weiter. Zudem gibt es bei der Abführung von Lohn- und Umsatzsteuer sowie den Sozialabgaben bestimmte Liquiditätserleichterungen und das Unternehmen erhält die Möglichkeit zur außerordentlichen Beendigung von langfristigen Verpflichtungen (wie z.B. unprofitable Aufträge, Mietzinsen oder Leasingraten). Damit kann das Unternehmen finanziell Anlauf für die Sanierung nehmen“, erklärt Dr. Alexander Verhoeven, Anwalt und Restrukturierungsexperte bei horizon-re in Frankfurt. Schon nach etwa sechs bis acht Monaten könne das Unternehmen über einen sog. Insolvenzplan die Altlasten hinter sich lassen. Der entscheidende Vorteil gegenüber der klassischen Insolvenz ist dabei, dass Management und Gesellschafter die Kontrolle über ihr Unternehmen behalten. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleiben bei der bisherigen Geschäftsleitung, die dabei lediglich durch einen Sachwalter beaufsichtigt wird.
Deutschland international im Vorteil
Mit derlei Vorteilen steht Deutschland international allein da. In den Niederlanden beispielsweise gibt es ebenfalls seit der Corona-Pandemie ein Schutzschirmverfahren namens WHOA. Allerdings gibt es dort kein Insolvenzgeld. Auch beim Chapter11-Verfahren in den USA gibt es keine staatlichen Dollars zur Liquiditäts-Unterstützung der Fortführung während der Sanierungsbemühungen. Aber: auch die deutsche Eigenverwaltung ist kein Selbstläufer. „Der Eigentümer muss immer bereit und in der Lage sein, einen finanziellen Beitrag zur Sanierung des Unternehmens zu leisten bzw. es muss einen sanierungsfähigen Kern geben, der dem Unternehmen die notwendige mittel- bis langfristige Profitabilität verleiht. Denn durch den Insolvenzplan dürfen die Gläubiger nicht schlechter gestellt werden als sie stünden, wenn das Unternehmen zerschlagen oder anderweitig fortgeführt würde“, so Verhoeven. Wenn der Eigentümer selbst pleite oder knapp bei Kasse ist, scheidet das Eigenverwaltungsverfahren häufig aus. Bestes Beispiel: der deutsche Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof mit seinem insolventen Gesellschafter Signa, wo nur ein Regelinsolvenzverfahren machbar war. Nicht wegzudiskutieren ist auch, dass die Eigenverwaltung noch immer ein Insolvenzverfahren ist. Auch wenn inzwischen viele Unternehmen diesen Weg gegangen sind, haftet daran noch immer das Insolvenz-Stigma. Hinzu kommen Risiken für den Eigentümer, dass Zahlungen aus der Zeit vor dem Insolvenzantrag angefochten werden und erstattet werden müssen. Außerdem besteht während der laufenden Restrukturierungsbemühungen immer auch die Gefahr, dass die Eigenverwaltung in ein reguläres Insolvenzverfahren überführt wird – was der Fall ist, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine Eigenverwaltung im Einzelfall nicht passt bzw. die Sanierung nicht mehr ausreichend Aussicht auf Erfolg hat.
Außergerichtliche Sanierungsverfahren ohne Insolvenz
Wenn es einige Großgläubiger wie z.B. Banken oder Vermieter gibt und mit diesen ein Deal geschlossen werden soll, sind außergerichtliche Sanierungsverfahren das Mittel der Wahl. So macht es das besagte niederländische WHOA möglich, Verbindlichkeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch einen außergerichtlichen Vergleich zu erfüllen – wobei der Vergleich auch für solche Gläubiger verbindlich ist, die dem Vergleich nicht zustimmen. Um den Vergleich zu beschließen, werden Gläubigergruppen gebildet, die über den Vergleich abstimmen. Am Ende bestätigt ein Gericht den Vergleich. Allerdings eignet sich das WHOA-Verfahren selbst nicht für die Entlassung von Mitarbeitern während der Sanierung. Dazu müsste das WHOA mit einem Sozialplan kombiniert und dazu mit Betriebsrat und Gewerkschaft verhandelt werden. Auch in den Niederlanden wird das teuer. Bei einem WHOA muss der Eigentümer des kriselnden Unternehmens ab dem Tag der Antragstellung dafür sorgen, dass alle noch entstehenden laufenden Kosten erfüllt werden. Nur dann kann es zu dem Vergleich kommen.
Geordneter Rückzug mittels Liquidation
Eine weitere Lösung ist die Liquidation, die in den meisten Ländern mindestens ein Jahr dauert – und erfordert, dass die Eigentümer alle Verbindlichkeiten des Unternehmens finanzieren. Zudem sind zahlreiche Formalien zu erfüllen. In Hong Kong beispielsweise muss basierend auf fünf Beschlüssen und drei Formularen ein behördliches Verfahren der Companies Registry durchlaufen werden. Die Behörde publiziert in der örtlichen Gazette, dass die Eigentümer eine Liquidation beschlossen haben. Wenn es binnen drei Monaten keine Einwände gibt, erklärt die Companies Registry das Unternehmen für liquidiert. Bis dahin sollten auch etwaige Guthaben vom Firmenkonto transferiert werden; andernfalls fällt der Betrag der Regierung anheim. Auch in Deutschland ist es nicht weniger formal: auf Basis eines notariellen Gesellschafterbeschlusses wird ein Liquidator bestellt, der die Abwicklung über den Bundesanzeiger expediert. Sodann folgt ein sog. Sperrjahr, in dem sich alle, die von der Unternehmung noch etwas zu bekommen haben, melden können. Sind die 12 Monate verstrichen, stellt der Liquidator eine Liquidationsschlussbilanz auf, lässt die Anteilseigner darüber abstimmen und sich entlasten. Daraufhin folgt die Schlussrechnung und eine Verteilung des restierenden Vermögens an den oder die Gesellschafter. Zu guter letzt vergewissert sich das Registergericht beim zuständigen Finanzamt, dass keine Steuerverbindlichkeiten mehr bestehen – äußert man dort keine Bedenken, tilgt das Registergericht das Unternehmen endgültig aus dem Handelsregister.
Der Dormant Modus
Eine Spielart der Liquidation ist der sog. Dormant Modus. Damit wird das kriselnde Unternehmen quasi in einen Schlafzustand versetzt, indem alle Mitarbeiter abgebaut und operative Geschäfte eingestellt werden mit dem Ziel, die vorhandenen Assets wie z.B. Marken oder Patenten und steuerliche Verlustvorträge irgendwann einmal wieder nutzen zu können. In Hong Kong beispielsweise braucht es dafür eine „Declaration for Dormancy“. Auf Basis einer Board Written Resolution, einer General Written Resolution und einer Special Resolution beschließen die Anteilseigner mittels Papier und Tinte den Schlafzustand, der durch die Companies Registry verzeichnet wird. Verbunden sind damit erkleckliche Erleichterungen in punkto Bilanzierung und Steuern – aber auch eine Finanzierung aller Verpflichtungen durch die Eigentümer. Sobald das Unternehmen wieder erwachen soll, braucht es dann wieder einen speziellen Beschluss.
Welche Lösung auch immer im Einzelfall genutzt wird – bei allen gesteuerten Sanierungsoptionen braucht es die Finanzspritze der Anteilseigner bzw. einen sanierungsfähigen Kern, der dem Unternehmen auch mittel- und langfristig die notwendige Profitabilität verleiht. Andernfalls bleibt nur das reguläre Insolvenzverfahren mit allen seinen Risiken und Nebenwirkungen.
Board Journal – 9. März 2025